ZEIT Magazin Online

2022-10-13 15:46:52 By : Ms. Lillian Chu

Zum Posen-Arsenal des modernen Großstädters gehört die Keine-Zeit-Attitüde, das Gejammer über Stress passt auch sehr gut in das Zeitfenster zwischen Yogastunde und Dinner. Dafür, der Zeit beim Verrinnen zuzusehen, ist aber immer noch genug Zeit, denn Sanduhren erfreuen sich wieder großer Beliebtheit. Warum, das weiß der Kuckuck, beziehungsweise der Buddha, der als weiteres statement piece daneben auf dem Couchtisch steht. Das Symbol der Vergänglichkeit – in der Kunstgeschichte gern mit Totenköpfen und tanzenden Gerippen kombiniert – und der oberste Vertreter der Lehre von der Wiedergeburt belegen immerhin beide das unökonomische Zeitgefühl der Gegenwart. Beim Anblick von Buddha oder Stundenglas – früher waren Sanduhren auf eine Stunde getimt – erfasst einen immer so ein leichter Achtsamkeitsschauer: Man möchte bedächtiger mit sich umgehen, mehr innehalten und weniger herumhasten. Da es zum minimalistischen Lebensentwurf gehört, sich erst einmal die richtigen Objekte für solche Kurskorrekturen anzuschaffen, wird nun eben eine Sanduhr erstanden.

Eine roséfarbene Chaiselounge ist kein Zufall, ein String-Regal mit Kletterpflanze auch nicht und der Wohnzimmertisch aus alten Dielen ebenso wenig: Diese Dinge sind mehr als nur Objekte, mit denen wir uns einrichten. Sie bestimmen unseren Alltag, sie verraten viel über unsere ästhetischen Sehnsüchte und die allgemeine Gemütslage. In unserer Interior-Serie Innenleben gehen wir den Trends in den Wohn-, Ess- und Schlafzimmern auf den Grund. Sie zeigen, wie wir uns selbst sehen und wie wir wahrgenommen werden möchten. Denn hinter jeder Kaffeetasse kann eine große Frage stecken: Wer bin ich?

Funktional ist die seit Anfang des 14. Jahrhunderts bekannte Sanduhr einigermaßen bedeutungslos. Zum Zeitmessen wird sie höchstens noch von Ärzten genutzt, es gibt kleine Ausgaben davon mit einer Laufzeit von 15 Sekunden, sie werden zum Pulsmessen verwendet. Andere Versionen sind zum Eierkochen gedacht oder für Kinder, die sich gründlich die Zähne putzen sollen. Oder für einen Ort, an dem das gefühlt sehr langsame Verrinnen der Zeit ein etwas masochistisches Vergnügen bedingt: Die Rede ist natürlich von Saunasanduhren mit einer Viertelstunde Dauer und Fünf-Minuten-Einteilung für die Zimperlicheren in puncto Schwitzen. Im baden-württembergischen Kirchheim an der Teck gibt es außerdem eine Parksanduhr mit acht Minuten Brötchenholzeit.

Von diesen Ausnahmen abgesehen soll die Sanduhr heute vor allem einen hübschen Anblick bieten, was ihr wegen der harmonischen Formgestaltung gelingt. Bei einer Frau mit schlanker Taille und Betonung von Hüfte und Oberweite ist übrigens gern auch von der Sanduhr-Silhouette die Rede.

Solche schlanken Taillen finden sich auch in der Sanduhr-Serie Time von Hay. Die dänische Firma mit dem minimalistischen Anspruch nutzt dazu die klassische Form von zwei aufeinanderstehenden birnenförmigen Kolben, die nicht nur glasklar, sondern auch in dezenten Retrofarben wie Blau und Orange und sogar in Farbkombinationen zu haben sind. Daran sehr schön zu sehen ist der steile Trichterwinkel; nur mit entsprechend großer Neigung bleiben die von der Schwerkraft nach unten gezogenen Partikel nämlich nicht liegen, beziehungsweise: der Sanduhr im Halse stecken.

Erhalten Sie jeden Mittwoch Artikelempfehlungen für und über Familien.

Mit deiner Registrierung nimmst du die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.

Der spanische Konzern Zara hat ein Modell mit goldfarbenem Sand im Angebot, für etwas mehr Bling-Bling bei der Kontemplation. Die Amsterdamer Marke Pols Potten setzt auf schwarzen Sand, falls die Gothic-Szene sich die Endlichkeit auf Erden und das Nahen des Sensenmannes auch mal mit einer Sanduhr vorstellen möchte. Bei House Doctor aus Dänemark verrinnt Sand in jenem Grau, das zwischen Blei und Beton auch die überaus beliebten Ecksofas unserer Zeit ziert. Esington aus Texas nutzte eine Crowdfunding-Kampagne, um einen sogenannten productivity kickstarter zu kreieren, denn die Sanduhr führt ja auch am Schreibtisch das Verrinnen der Zeit vor Augen und kann, so der Plan, damit dem Prokrastinieren entgegenwirken. Die Version von Esington ist auf 25 Minuten getimt, und durch die Kehle zwischen den beiden Glaskolben rinnen keine Sandkörner, sondern winzigste Stahlkügelchen. Sie machen aus dem stillen Rieseln ein Geräusch, ein metallisches Flüstern, Fließen und Wispern – schön, aber zu gleichförmig, um nicht hypnotisch entspannend zu wirken.

Übrigens steckt meistens gar kein Sand in der Sanduhr, denn die einzelnen Körnchen sind, unter den Lupe betrachtet, zu wenig kugelig, um nicht anzuecken. Sind sie zu grob, rieseln sie nicht gleichmäßig und verstopfen den Trichter. Sehr feiner Puderzucker-Sand wiederum verklumpt beim kleinsten bisschen Feuchtigkeit. Deswegen wurde früher Zinn- oder Bleisand verwendet, pur oder mit handverlesenem Sand vermischt. Oder sogar gründlichst zerstoßene Eierschalen.

Das ist ein bisschen enttäuschend, denn wenn man schon seine Zeit mit dem Betrachten einer Sanduhr verplempert, sollte das doch zumindest die Fantasie anregen. Im sich sanft auftürmenden Sand beziehungsweise Nicht-Sand möchte man doch en miniature mindestens eine Dünenlandschaft entdecken, ob es nun das Dünenmeer der Sahara ist oder die Uwe-Düne auf Sylt. Stattdessen rieseln Glaskügelchen durch die Sanduhr. Sie verklumpen nicht und rieseln mit großer Präzision. Klingt fast schon wieder nach Uhrwerk – und nicht nach dem Zauber des Zeitverschwendens.

Mach es wie die Eieruhr: Zähl die heitren Stunden nur.

Die Korfsche Uhr (von Christian Morgenstern)

die mit zwei Paar Zeigern kreist

und damit nach vorn nicht nur,

sondern auch nach rückwärts weist.

Zeigt sie zwei, somit auch zehn;

zeigt sie drei, somit auch neun;

und man braucht nur hinzusehn,

um die Zeit nicht mehr zu scheun.

Denn auf dieser Uhr von Korfen,

(dazu ward sie so entworfen):

hebt die Zeit sich selber auf.

Es gibt bessere Methoden der antiquierten Zeitmessung: Sonnenuhren, Kerzenuhren oder die besonders günstige Verabredung nach Tageszeiten ( Morgens, Mittags oder bei Sonnenaufgang etc.) Eine Sanduhr ist technischer Schnickschnack, den niemand braucht, auch wenn sie fast digital-analog ist.

Ich habe letzthin erst irgendwo gelesen, dass der alte Ausspruch: 'Wir treffen uns auf eine Glas' nicht das Gläschen Wein betraf, sondern die Ablaufdauer einer Stundenuhr. So wurden angeblich Zusammenkünfte begrenzt, die anscheinend schon in der guten, alten Zeit endlos waren. :) Ob's stimmt?

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.