Remise aus dem 19. Jahrhundert in Basel ist heute ein Wohnhaus

2022-10-08 19:51:45 By : Mr. jieming Wang

Unweit vom markanten Spalentor, das als historischer Teil der Basler Stadtmauer als Pforte zur Innenstadt diente und auch heute noch den Übergang zur Spalenvorstadt markiert, führt ein schmaler Weg in einen parkähn­lichen Innenhof mit altem Baumbestand. Zur Strasse hin abgeschirmt von einer Jahrhundertwende-Bebauung im Stil der Neorenaissance, erscheint der Gartenhof als eine geschützte, ruhige Oase jenseits von Trubel und Verkehrslärm der Stadt.

An seine rückwärtige Begrenzungsmauer schmiegt sich eine Remise, die 1889 zu der vormals auf dem Grundstück befindlichen Villa ergänzt worden war. Diese Remise diente ursprünglich als Dienstgebäude mit Pferdestall, Kutschenraum mit Heuboden sowie einem rudimentären Wohnteil mit Sattelkammer. Die historische Backsteinfassade des Ensembles aus zwei Gebäudeteilen zieren Ecksteine und Friese aus Berner Sandstein.

Der gebogene und geschwungene Ziergiebel aus Holz fiel als markantes gestalterisches Element des Altbaus ins Auge, als ihn Architekt Andreas Bründler und seine Frau Sandra erwarben. Aus den Bögen und Schwüngen dieses Ziergiebels leitet sich das Kreismotiv ab, das sich wie ein roter Faden durch das neu gestaltete, im Frühjahr dieses Jahres bezogene Wohnhaus der Familie mit zwei Kindern zieht – als runder Mauer­ausschnitt, Fensteröffnung oder Geländerdetail.

«Mit diesem harmonischen geometrischen Motiv jenseits der Orthogonalität haben wir die Verbindung geschaffen zwischen dem Vorhandenen und dem Neuen», erklärt der Architekt. «Zwei Gebäudeteile werden hinter der historischen Fassade zu einem zeitgemässen Wohngebäude mit hoher räumlicher Qualität.»

Daniel Buchner und Andreas Bründler haben seit der Gründung von Buchner Bründler Architekten im Jahre 1997 etliche bemerkenswerte Einfamilienhäuser und öffentliche Bauten realisiert. Etwa die pu­ristische Jugendherberge Sankt Alban, das Lofthaus in Basel als Wohnregal aus Beton und Glas oder den Schweizer Pavillon für die World Expo Shanghai 2010 – ein hybrides Gebäude, das die Grenzen zwischen Natur und Technik thematisiert.

Klar und archaisch wirken die Innenräume ihrer Bauten. Eine reduzierte Materialität lässt die wenigen, bewusst komponierten Baumaterialien in ihrer Wirkung ganz für sich sprechen. Sie schafft, in Verbindung mit den für Buchner Bründler typischen offenen Raumzonen, jene schlichten, sinnlichen Räume, die das Büro auszeichnen. So auch beim Umbau der histo­rischen Remise zum Wohnhaus einer vierköpfigen Familie – bei dem eine besondere Herausforderung die schwierige Tageslichtsituation darstellte. «Bedingt durch die beiden Brandmauern, an die sich der Bestandbau im Südosten und Südwesten anlehnt, war das Haus zum Licht komplett geschlossen», sagt Bründler.

Sein Entwurf antwortet darauf mit einer eingesetzten Struktur aus Beton, konzipiert wie ein Haus im Haus. «Das gesamte Gebäudevolumen sollte von Licht erfüllt werden», so Andreas Bründler. «Unser Ziel war es ausserdem, dem Haus eine stärkere, komplexere Räumlichkeit zu geben.» Vertikales Licht aus Oberlichtern im Dach fällt durch kreisförmige Seitenöffnungen in die neu eingesetzte Raumstruktur. So entsteht im gesamten Haus eine angenehme, natürliche Helligkeit – und eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Räumen mit hoher Aufenthaltsqualität.

Das Gartengeschoss des Hauses empfängt den Gast als Einraum, in dem die Bereiche Kochen, Essen und Wohnen offen ineinander übergehen. Die Betonstruktur erscheint hier wie ein überdimensionaler Tisch, unter dem die freistehenden Raumelemente wie Küche, Garderobe oder Gästebad ihren Platz finden. Die bodentiefen Fensteröffnungen zur Gartenseite erinnern an die ehemaligen Stall- und Scheunentore.

Die Schnittstelle zwischen den beiden ursprünglichen Teilen des Bestandbaus markieren geschwungene Mauervorsprünge beidseitig des zentralen, offenen Kamins. Die Stirnwand des Wohnbereichs öffnet sich über eine grosszügige Verglasung, um viel Tageslicht ins Innere zu holen. Dieser Ausschnitt rahmt den seitlichen Ausblick in den Garten mit Wasserbassin, das im Sommer als Swimmingpool dient.

Die aufwendige Fensterkonstruktion aus zwei Schiebeelementen lässt sich komplett öffnen; weit kragt der Betonarm mit Führungsschiene in den Aussenraum aus. Die vor Ort aus Beton gegossene Küchenzeile findet ihren Platz vor einem massgefertigten Multifunktionsmöbel, das die Bibliothek vom Eingangsbereich abschirmt. Hinter seiner Verkleidung aus massiven, geölten Eichenlamellen verbergen sich Küchenge­räte und Stauraum.

Der seitliche Treppenaufgang führt in einen zentralen Spielflur zwischen den Zimmern der beiden Kinder im ersten Stock. Die Kinderzimmer orientieren sich zur Gartenseite und sind über Schiebeelemente mit dem rückwärtigen Kinderbad auf der einen und dem Gästezimmer auf der anderen Seite verbunden. Runde Fensteröffnungen in der «inneren Fassade» leiten Tageslicht in Bade- und Gästezimmer und machen die komplexe Schichtung des Raumes, die durch das Haus-im-Haus-Konzept entsteht, erlebbar.

Im Dachgeschoss schliessen sich Elternschlafzimmer und -bad an, verbunden über eine Galerie mit zwei zu Waschbecken umfunktionierten Futtertrögen aus den ehemaligen Stallungen. Ein riesiges Dachfenster in Dreiecksform eröffnet den Blick vom Schlafpodest aus direkt in die Wolken.

Um im Obergeschoss mehr lichte Höhe zu schaffen, wurde die Raumdecke der ­Ebene darunter auf 2,30 Meter gezogen. Im Erdgeschoss dagegen blieb die ursprüngliche Holzbalkendecke erhalten. Die alten Träger wurden freigelegt und die Betondecke zur Zwischenebene aufgedoppelt. Der tragende gespannte Boden wurde als Betonarbeit mit der Anmutung eines Terrazzo ausgeführt. Wandelemente aus Tanne erscheinen wie Intarsien innerhalb der Betonstruktur.

Unterschiedliche Betonqualitäten kamen für die neu eingebauten Elemente zum Einsatz: grauer Beton für die Grundstruktur mit Stützen, Wänden und Trägern, weisser Beton für die Böden, Treppen und Möbelelemente. Für die Einrichtung ihres Hauses kombinieren Sandra und Andreas Bründler eigene Entwürfe mit Design­klassikern und zeitgenössischer Kunst. Der Esstisch ist ein eigener Entwurf.

Die «Shanghai Chairs» aus Teakholz, massiv, geölt, entstanden in Zusammenarbeit mit Inch Furniture. Im Wohnbereich gesellt sich der «Diz Lounge Chair», ein Entwurf des Brasilianers Sergio Rodrigues, zum «Na­viglio»-Sofa von Umberto Asnago (Arflex) und einem italienischen Couchtisch aus den 1980er Jahren. Hinter dem Sofa lehnt ein grossformatiges Gemälde von Thomas Hauri an der Wand, hinter dem Esstisch ein Foto von Daniel Gustav Kramer.

Der Gartenhof ist der Lieblingsort der Familie: Hier wird gespielt, gebaut und gewerkelt, gemeinsam mit Freunden gegessen und gesellig zusammengesessen. Zwei Sitzgruppen – eine direkt vor dem Haus und ein Freisitz auf dem Rasen – dienen wahlweise als schattiger oder sonniger Treffpunkt in dieser idyllischen grünen Oase mitten in der Basler Innenstadt.

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