Gasthaus: Tucholsky schwärmte von der „Perle des Spessarts“ - Rhein-Main - FAZ

2022-10-08 20:48:38 By : Ms. Rose Zhao

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Gastlich: Früher waren in dem Anwesen erst ein gestüt und später ein Hammerwerk untergebracht. Bild: Wohlfahrt, Rainer

Das „Gasthaus im Hochspessart“ beherbergte schon etliche Prominente. Seit mehr als 100Jahren ist die Herberge in der Lichtenau in Familienbesitz.

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H inten an dem Ecktisch am Fenster hat er gesessen, direkt unter dem Geweih, links und rechts neben sich die beiden Freunde Jakopp und Karlchen vor sich ein Glas Frankenwein. Den hat der Wirt Fritz Wucherer den drei Männern aus der fernen Großstadt ausgeschenkt. Deshalb gab es auch noch einen kleinen Disput, denn das Trio behauptete, dass der Frankenwein nach Kork schmeckte. „Ich habe gleich gesehen, dass die Herren keine Bocksbeuteltrinker sind! Der Wein ist gut“, zitierte Kurt Tucholsky in seinem Reisebericht den Wirt.

Marianne Geis, die Wirtin des „Gasthauses im Hochspessart“ muss lachen, wenn sie sich die Szene zwischen Tucholsky, seinen Freunden und ihrem Onkel, dem Braumeister Wucherer, vorstellt. Tucholsky war im September 1927 in der Lichtenau und übernachtete im „Gasthaus im Hochspessart“, das er als „die Perle des Spessarts“ bezeichnete. Er schwärmte in seinem Reisebericht „Das Wirtshaus im Spessart“, der im November 1927 unter dem Pseudonym Peter Panter erschien von der „alten Landschaft“, in der die Zeit stehen geblieben sei. „Wenn Landschaft Musik macht: dies ist ein deutsches Streichquartett.“ Von dem berühmten Gast sei jedoch bis Mitte der sechziger Jahre nie die Rede gewesen, so Geis. Weder ihre Eltern, die 1930 das Gasthaus übernommen hatten, noch Fritz Wucherer, der mit ihrer Tante Kuni davor das Gasthaus geführt hatte, hätten davon berichtet.

Das habe damals nicht die Bedeutung gehabt, das seien irgendwelche Großstädter gewesen, die gezecht hätten. Doch 1962 wandelten vier Berliner auf Tucholskys Spuren, wie sie dem Gästebuch, das in den fünfziger Jahren begonnen wurde, anvertrauten. In dem dicken, abgegriffenen Buch mit dem Ledereinband haben sich viele Gäste des Hauses verewigt. Die Seiten sind liebevoll gestaltet mit Zeichnungen, Fotos und selbstverfassten Reimen, in denen häufig die Worte „Spessart“, „Wildschweinbraten“, „guter Tropfen“ „Idylle“ und auch immer wieder „Tucholsky“ vorkommen.

Das „Gasthaus im Hochspessart“ ist seit 1896 in Familienbesitz und gilt als älteste Sommerfrische im Spessart. Zuvor war es bis 1790 mehrere Jahrhunderte kurmainzisches Gestüt und von 1813 bis 1871 Hammerwerk der Brüder Rexroth.

Wenn Geis, die ihr ganzes Leben in der Lichtenau verbracht hat und schon als 14 Jahre altes Mädchen im elterlichen Betrieb mitgeholfen hat, im Gästebuch blättert, fallen ihr viele Geschichten ein. 1973 etwa, da war sie 33 Jahre alt, da übernachtete der Tenor Rudolf Schock in ihrem Gasthaus. Er hat im Gästebuch neben einer Widmung eine Autogrammkarte hinterlassen. „Ich wusste damals gar nicht was das ist“, erinnert sich die temperamentvolle Wirtin. „Da hat er doch die Autogrammkarten durch den Spessart geschleppt“, sagt sie immer noch etwas ungläubig. Hamburgs Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose war 1980 da, Paul Breitner und Toni Mang besuchten 1983 das „Gasthaus im Hochspessart“. Joschka Fischer übernachtete im Juli 1998 in einem der 13Fremdenzimmer. Damals war er noch Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, wenige Monate später Außenminister und Vizekanzler. Doch sein Besuch galt vermutlich nicht Tucholsky, sondern der Aktionsgemeinschaft AGH Hafenlohrtal, die sich von 1978 bis 2008 erfolgreich dagegen wehrte, dass im Hafenlohrtal ein Trinkwasserspeicher für die Fernwasserversorgung gebaut wurde.

Besonders freut sich Geis, die mit Ehemann Wilhelm und den beiden Töchtern Ursula Roth und Caroline Bayer, das Gasthaus führt, über die Doppelseite im Gästebuch, die Eckart Wolf gestaltet hat. Ein Foto zeigt ihn 1932 in der Lichtenau als kleinen Jungen mit seinem Vater, das nächste 1953, da machte er mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise Station in seinem Kinderparadies. 1978 war das Ehepaar wieder da, zur Silberhochzeit und auf dem Foto von 2003 sind die Wolfs als „Goldenes Hochzeitspaar“ vor dem Gasthaus zu sehen.

Einer der bereits seit den sechziger Jahren immer wieder Tucholsky auf den Spessartwegen folgte und sich ebenfalls von der Landschaft inspirieren lies, war der Schriftsteller Robert Gernhardt. Das war auch Anlass für das Archäologische Spessartprojekt, vor zehn Jahren den Europäischen Kulturweg Hafenlohrtal, dessen zwölf Stationen unter anderem an Hauff, Tucholsky und Gernhardt erinnern, einzuweihen und die Gernhardt-Linde an der Lichtenau zu pflanzen. „Wenn man den Geist des Spessarts spüren möchte, ist man hier absolut richtig“, so Gerrit Himmelsbach vom Archäologischen Spessartprojekt über das „Gasthaus im Hochspessart“. Tucholskys Wanderung durch den Spessart hat sehr zur Popularität der Lichtenau und des Gasthauses beigetragen. „Immer wieder wollen Gäste wissen, wo denn Tucholsky gesessen hat“, sagt Geis. Kellner Stefan Hauck wurde sogar von einem älteren Gast gefragt, ob der Tucholsky noch öfters käme. Auch wenn Tucholsky nie mehr vorbeikommen wird und sich auch nicht in einem Gästebuch verewigt hat, gibt es dennoch einen Hinweis auf seinen Besuch. In der Gaststube, wo er einst mit seinen Kumpanen gezecht hat, erinnert ein Foto an die drei Wanderer aus Berlin, denen das Gasthaus auch seine Berühmtheit verdankt.

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