Erste Allergikerfreundliche Insel: Tief durchatmen auf Borkum

2022-10-16 18:04:22 By : Ms. Clara Lin

Allergiker finden im Frühjahr nur an wenigen Orten wirklich Ruhe vor den Pollen. Die Insel Borkum ist auf diese Zielgruppe ausgerichtet.

Borkum Mitte März. Es sind die Tage, in denen noch niemand damit rechnet, dass Corona bald schon das öffentliche Leben lahmlegen wird. Das Café „Lüttje Toornkieker“ im langen Schatten des Alten Leuchtturms hat gerade geöffnet, die ersten Gäste dürfen die Frühlingssonne noch genießen. An einem Ecktisch beugen sich drei Menschen über die Speisekarte: Monika Harms, die Kurärztin, Tanja Rück von der Tourist-Information und Holger Hoven, der Besitzer des Cafés, ein gebürtiger Wardenburger.

Die Gestaltung einer Speisekarte ist eine Wissenschaft für sich, jedenfalls dann, wenn man seinen Betrieb nach den Kriterien der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) als allergikerfreundlich zertifizieren lassen möchte. Und Hoven möchte. Damit ein Allergiker auf einen Blick erkennt, was drin ist in seinen Speisen und Getränken, will Hoven mit Symbolen arbeiten. „Habt ihr was mit Sesam?“, fragt Harms. Sesam kann sehr heftige Reaktionen auslösen, bis hin zu einem lebensbedrohlichen Schock, so die Medizinerin.

Sesambrötchen müsste Hoven also auf einem Extrablech in den Ofen schieben, ganz unten, damit nichts auf andere Produkte fallen kann.

Auf der Anrichte stehen mehrere Kuchen, alle laktose- und glutenfrei, alle von einer Konditorin im Haus gebacken. Unter jeder Torte liegt ein eigener Heber. Strikte Trennung lautet die Devise, auch im Kühlschrank und bei der Zubereitung. Pommes dürfen nicht in dieselbe Fritteuse wie die Kibbelinge, weil die ja eine Weizenpanade haben. Es gibt eine Pfanne für Fisch, eine für Tofu und eine für die leckere Bratwurst mit Fenchel. Ein Fischallergen ist nicht gleich weg, nur weil man die Pfanne mal eben durchspült, sagt Harms. Auch Bretter und Messer müssen ständig gewechselt werden.

90 Minuten später: Tanja Rück hat auf einem Beurteilungsbogen einen Haken nach dem anderen gemacht. Bitte keine Orchideen, mahnt sie noch beim Rausgehen. Es sind Kleinigkeiten, um die Hoven sich noch kümmern muss, dann darf er das ECARF-Siegel für weitere zwei Jahre nutzen.

Mittlerweile lebt in mindestens jedem dritten Haushalt in Deutschland ein Allergiker, sagt Monika Harms. Eigentlich müsste Borkum also aus allen Nähten platzen, denn die natürlichen Voraussetzungen sind gut, mal ganz abgesehen davon, dass die Insel zu den Orten mit den meisten Sonnenstunden in Deutschland zählt. „Wir liegen von allen ostfriesischen Inseln am weitesten draußen. Wir haben wenig Schadstoffe in der Luft. Und wir haben immer Wind, die Pollen werden weggetragen.“ Es ist vor allem die Birkenblüte, die vielen Allergikern zusetzt. „Die können hier durchatmen. Die Luft, die übers Meer kommt, ist quasi gewaschen. Die Nordsee ist wie eine Waschmaschine.“ Die hohe Luftfeuchtigkeit und das Salz tun ein Übriges. Wobei es nicht reicht, einfach nur über die Promenade zu schlendern. „Wir empfehlen unseren Patienten, direkt an der Brandungszone zu laufen, unserem natürlichen Inhalatorium.“ Dort ist die Konzentration an Jod am höchsten.

Nur: Auch gute Luft nutzt wenig, wenn der Allergiker kein geeignetes Zimmer findet. Wichtig sind wischbare Böden, kurzflorige Textilien und spezielle Überzüge für Matratzen und Bettzeug. Denn der größte Teil der Allergiker leidet unter Hausstaubmilben.

Ein Inselurlaub beginnt bekanntlich schon auf der Fähre. Die AG EMS trägt zwar kein Siegel, hat die Allergiker aber ebenfalls im Blick. Schon kurz nach der Abfahrt in Emden weist der Kapitän mit einer Durchsage darauf hin, dass zwei Salons an Bord eine „tierfreie Zone“ sind. Claudia Hanschmann, die „Stewardess“ an der Kioskkasse, beantwortet geduldig alle Allergikerfragen. Für die, die es ganz genau wissen wollen, gibt es eine lange Liste, der man entnehmen kann, dass Erdnuss-Spuren im Käsekuchen sind, der „Salat Ostfriesland“ dagegen von jedermann bedenkenlos verzehrt werden kann.

Eine solche Liste hat auch Bäcker Müller, der zu den zertifizierten Betrieben auf der Insel zählt. Manuel Pietzner, der Verkaufsleiter, hat genau genommen nicht nur eine Liste, sondern eine ganze Mappe, in der haarklein alle Produkte mit ihren Inhaltsstoffen aufgeführt sind. Wenn Pietzner bei der Kasse den Button „Info“ drückt, dann erscheint die „Zutaten-Volldeklaration“ und er sieht auf einen Blick, was drin ist in der Sahneschnitte. Die meistgestellte Frage lautet: „Haben Sie weizenfreie Sachen?“ Auch Pietzner achtet streng darauf, dass Produkte, die Nuss oder Sesam enthalten, sauber getrennt werden von denen, die frei davon sind.

Nahrungsmittelallergien „sind meistens im Handgepäck der Pollen“, sagt Monika Harms. Sellerie in der Brühe, die Nuss im Müsli – mitunter reichen ganz kleine Mengen, „dann geht die Post ab“. Lebensgefährliche Reaktionen drohen manchmal noch Stunden später. Um so wichtiger sind geschulte Mitarbeiter und glasklare Deklarationen.

Auf Borkum sind sie also bestens vorbereitet auf den Besuch von Allergikern. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die Corona-Krise hat den Tourismus voll erfasst. Und nicht nur an der Nordsee hoffen sie, dass das Ende dieser Krise nicht mehr zu lange auf sich warten lässt.

Auf Borkum gibt es mittlerweile um die 100 Ferienwohnungen, die das ECARF-Siegel tragen. Dazu kommen sieben Hotels und die Jugendherberge. Das macht unterm Strich um die 1900 allergikerfreundliche Betten.

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