27.07.2022: Der Typ auf dem Poster (Tageszeitung junge Welt)

2022-10-08 23:35:28 By : Ms. sophie wei

Ray Bradbury nahm’s mit Humor: Sein dystopischer Roman »Fahrenheit 451«, in dem er eine Gesellschaft beschreibt, in der Bücher verboten sind, erschien zuerst als Fortsetzungsgeschichte in Hugh Hefners Magazin Playboy. Die Ohrmuscheln, die sich die Mitläufer im Roman einsetzen, um sich aus echten Gesprächen rauszuzoomen und seelisch zu betäuben, nahmen den »damn walkman« (Bradbury) und damit auch durch ihn angestoßene allgegenwärtige Kopfhörerei vorweg. Ob Bradbury wusste, dass Science-Fiction-Fan Mark Feld aus Hackney (London) – Künstlername Marc Bolan und Pop-Teenage-Poster-Idol der frühen 70er – den ursprünglichen Namen seiner Band, Tyrannosaurus Rex, seiner gleichnamigen Kurzgeschichte entnommen hatte? Wie auch immer. Ein Box-Set würdigt nun die Band, die dieses Jahr 50 geworden wäre, auf dem Höhepunkt ihres Schaffens: »T. Rex – 1972« heißt das gute Stück.

Tyrannosaurus Rex machten ab 1967 moderat spinnerten, akustischen Folkpop mit phantastisch-poetischen Texten. Bolans Stimme tremolierte. Bekanntester Song dieser Ära: »Debora«. Aber Bolan war nicht zufrieden, wollte mehr Rock, mehr Wucht, auch mehr Erfolg. Und so wich die akustische Verträumtheit bald süffigem Rock ’n’ Roll mit einprägsamen Riffs. Aus Tyrannosaurus Rex wurden T. Rex. »Ride a White Swan« hieß Ende 1970 die Single, die den Übergang zu Bolans zweiter Phase markierte: synkopisches, an Chuck Berry angelehntes Erkennungsriff, aber mit Folk-Touch. Die Rockmuskeln sind bereits entwickelt, noch ungeflext. Streicherarrangements von Produzent Tony Visconti erweitern das Soundspektrum und begleiten in der anschließenden Hochphase den kraftvollen, gleichwohl entschlackten Sound der Band. »Ride a White Swan« erreicht Platz zwei der britischen ­Single-Charts.

»Hot Love« und »Get It On« (beide 1971, beides Nummer-eins-Hits) folgten. Auf den Schulfeten von uns Babyboomern wurde viel und gern getanzt, wenn Sweet, Slade, Gary Glitter oder T. Rex aufgelegt wurden. Übriggeblieben sind im Grunde nur T. Rex. Ihre Songs klingen bis heute frisch. Leander Haußmann wusste, weshalb er die Ostdiskoszene in »Sonnenallee« mit »Get It On« unterlegte. Wenig aus der Zeit hätte so elektrisierend gewirkt: das fiebrige, dunkle Eingangsriff, die einsetzenden Drums, der treibende Rhythmus der Band, der erst verhaltene, im Refrain dann dynamische, aber immer noch spannungsvoll verzögerte Gesang. Die prüden Amerikaner wussten auch was – weshalb sie »Get It On« in »Bang a Dong« umtauften. Die Singles, das sagenhafte Album »Electric Warrior«, künstlerisch makellos, sehr erfolgreich. Marc Bolan war ein Star.

Bolans zweites, künstlerisch noch durchgängig überzeugendes und ebenfalls sehr erfolgreiches Album »The Slider« erschien 1972. Das volumnöse Box-Set »1972« (fünf CDs, sechs LPs) präsentiert T. Rex auf dem Höhepunkt der T. Rexstasy. Es arbeitet sich zunächst an »The Slider« ab. »Aaaawh-waah-wahh-yeah-eah!« – so fängt »Metal Guru« an, die nächste Nummer-eins-Single. Der Sound ist jetzt aufgemotzter. Vieles klingt euphorischer. Die Texte indes künden schon vom kommenden Niedergang. Die Posen werden größer, die Unsicherheit auch. In den Grooves versteckt Songzeilen existenzieller Angst. Von Dämonen, Monstern und, poetisch verklausuliert, Identitätskrisen ist da die Rede: »The Slider« ist eine Rutschbahn, auf der es tanzend abwärts geht: »And when I’m sad, I slide!«

Kurz zuvor, Ende 1971, besucht Musikjournalist Tony Norman Bolan in dessen Wohnung in Little Venice in London, fragt, weshalb er ein Poster von sich in Bühnenpose im Wohnzimmer hängen hat. Bolan: »If I start to believe I’m that guy, I’m in trouble.« Wenn ich anfange, mich für diesen Typen zu halten, bin ich in Schwierigkeiten.

Was gibt’s noch auf dem Box-Set? Da ist der Mitschnitt der Live-Show in Wembley, mit kreischenden Teenies wie zu Beatlemania-Zeiten (»Get It On« in einer elf Minuten langen Version, das Gitarrensolo klingt nach Hendrix). Dann der Soundtrack zum von Ringo Starr gedrehten Film »Born to Boogie«, der im wesentlichen Live-Aufnahmen mit besserem Klang bietet, Gejamme und Rumgealbere von Bolan, Starr und Elton John. Des weiteren eine CD mit akustischen US-Radio-Sessions (Bolan solo). Die fünfte CD schließlich präsentiert »T. Rex on the BBC in 1972 – A- and B-Sides«. Darauf zu hören, die meisten der »Slide«-Songs und das beste von dem, das kurz danach rauskam: »Children of the Revolution«, »Solid Gold Easy Action«, »Jitterbug Love«, »Sunken Rags«. Die Aufnahmen klingen hervorragend und sind der Musikergewerkschaft zu verdanken, die die Abspielzeit von Tonträgern im Radio, »needle time« genannt, streng reglementierte. Die verbleibende Zeit wurde mit Aufnahmen von Live-im-Studio-Sessions gefüllt. Die 70er.

Als die Welle, die T. Rex seit Ende 1970 trug, mit »The Slider« allmählich ausläuft, verlässt Bolan der Instinkt, vor allem aber die Freude. Ende 1972 hat er sich mit Ehefrau June in einer hochmodernen Hochhauswohnung in Marble Arch (»seinem Elfenbeinturm«, Tony Visconti) verschanzt, spielt am Glastisch Phantasieschlachten mit Spielzeugdinosauriern nach. Irgendwann in dieser Zeit beginnt auch das Kokainschnupfen. Für Besucher und Freunde ist er kaum noch ansprechbar. Der Sound späterer Aufnahmen zerfasert (R-&-B-Bläser, Gospelchöre, Funkelemente auf der 1973er-LP »Tanx«), »Dandy in the Underworld« von 1977 flirtet mit Synthesizern und Punk. Das Cover von »Tanx« setzt Bolan gegen allerlei Widerstände durch: Er sitzt da verkrampft auf einem Spielzeugpanzer, einem tank. Größenwahnsinnig, albern, absurd, tragisch, vor allem tragisch schaut das aus.

Bolan wartet auf die nächste Welle, aber die kommt nicht. Derweil surft David Bowie richtig los, mit »Ziggy Stardust« im Stil von »Electric Warrior«: akustisch-elektrisch, Streicher, ähnliches Erzählkonzept, ähnliche Wendungen: »Let all the children ­boogie«. Am 16. September 1977 fährt Marc Bolans Freundin Gloria Jones ihren Mini nach einem Restaurantbesuch gegen einen Baum. Bolan, der Beifahrer, ist auf der Stelle tot. Er wurde gerade mal 29 Jahre alt. Und bleibt doch unvergessen.

T. Rex: »1972« (Demon Music Group)

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