Tischkultur: Die edlen Gläser von Zalto - manager magazin

2022-10-12 06:54:28 By : Ms. Vangood ZS

Glasmanufaktur Zalto: Ein durchsichtiges Geschäftsmodell

Willi Schlögl versteht etwas von Wein - und von Gläsern. Der Österreicher, 28 Jahre jung, schwarzes T-Shirt, Hornbrille, Trauben-Tattoo auf dem Arm, verantwortet die Getränkeauswahl der Cordobar in Berlin-Mitte. 2014 wurde er vom Branchenfachblatt "Rolling Pin" zum Sommelier des Jahres gekürt. Am liebsten schenkt er Wein in Gläsern von Zalto aus, sein Favorit ist das Bordeauxglas: "Daraus kannst du jeden Wein trinken, einen kräftigen Weißen, Bordeaux, Burgunder, Blaufränkisch."

Trotzdem sind die Gläser aus Schlögls alter Heimat nur den besten Gästen und den besten Flaschen vorbehalten. Denn sie sind teuer, kosten 30 Euro das Stück. "Ich hab' hier kein Sternelokal, wo die Leute entspannt am Tisch sitzen, sondern eine Rock 'n' Roll-Bar", erklärt Schlögl. Da gingen ständig Gläser zu Bruch, Zalto sei ihm da viel zu schade. Warum er die dann überhaupt im Sortiment hat?

Ganz einfach: "Wenn du ganz oben mitspielen willst, darfst du keine Kompromisse machen." Zalto, gerade mal neun Jahre alt, ist zum Goldstandard unter den Weingläsern aufgestiegen - und hat Traditionsmarken wie Riedel, Schott-Zwiesel und Stölzle hinter sich gelassen. Sommeliers loben die Gefäße in höchsten Tönen, ebenso wie Gastrokritiker und Topwinzer. Alles an diesem Glas ist ultradünn: Kelch, Stiel, Bodenplatte, kein wulstiger Rand, nichts soll zwischen Mund und Inhalt stören. "Der Wein ist der Held", sagt Josef Karner, einer der beiden Zalto-Macher.

Die Eroberung der gehobenen Gastronomie

Gemeinsam mit Martin Hinterleitner hat er die Gläser in die Topgastronomie eingeführt: Zalto steht auf den Tischen des Steirerecks in Wien, des The Ledbury in London, des Astrance in Paris und des Park Hyatt in Tokio. Zaltos Aufstieg ist die Geschichte zweier Perfektionisten, die erst grandios scheitern - und sich mit ihrer Idee am Ende doch noch am Markt durchsetzen.

Wer Karner und Hinterleitner zum ersten Mal trifft, sieht sich zwei älteren Herren mit karierten Sakkos und blauen Strickpullis gegenüber. Zwei schrullige Frührentner, könnte man meinen. Doch der Eindruck täuscht. Schrullig vielleicht, Frührentner kein bisschen. 2006 haben die beiden ihre gut dotierten Jobs als Vorstände der Wiener Sektkellerei Schlumberger gekündigt und sich in ein Abenteuer gestürzt. Ihr verwegenes Ziel: einen kleinen Glasbetrieb zur weltbesten Manufaktur zu machen.

Zalto gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren, doch das Unternehmen steckt in Schwierigkeiten. Kurt Zalto, ein Glasmacher mit Vorfahren aus Venetien, hat im Waldviertel ein neuartiges Trinkgefäß entwickelt. Die Gegend nahe der tschechischen Grenze gilt unter Wienern als tiefste Provinz. Viele Glashütten, für die der Landstrich seit Jahrhunderten berühmt ist, waren längst bankrottgegangen. Kurt Zalto, einer der Besten seiner Zunft, wollte sich nicht fügen in dieses Schicksal. Er suchte nach einer rettenden Idee.

Gemeinsam mit dem Weinkritiker und Pfarrer Hans Denk und einem Händler tüftelt er am ultimativen Weinglas. Der Clou: Jedes Glas soll den Erdwinkel wiedergeben. So steht etwa der Kelchboden in der Neigung von 24 Grad zur Horizontalen, so wie die Sonne zur Erdachse. Spitzere Gläser werden nach einem Vielfachen dieses Winkels, also 48 oder 72 Grad, gefertigt. Schon die Amphoren der Römer sollen nach diesen Vorgaben hergestellt worden sein. 2000 Jahre später fand man darin Wein, der noch als solcher erkennbar war. Einen wissenschaftlichen Nachweis für den vermuteten positiven Effekt auf Haltbarkeit und Geschmack gibt es nicht, Kurt Zalto glaubt trotzdem fest daran.

Doch als seine Wunderweingläser endlich fertig sind und ihr Erfinder sie vorstellen will - zerspringen sie. Zalto, eine Lachnummer, das wirtschaftliche Aus. Kurt Zalto ist überschuldet, er muss seine Idee samt Namen verkaufen. Kellereimanager Karner wird sofort hellhörig. "Ein supergeiles Glas", so seine erste Reaktion. "Ich hab' mich sofort verliebt und Martin angerufen: ,Komm her, das musst du dir ansehen!'" Die beiden Kollegen erkennen das Potenzial und wollen zugreifen. Freunde raten ab: "Seid ihr deppert? Steigt in die marode Glashüttenbranche ein, während andere den goldenen Handschlag kassieren?"

Sie lassen sich von den Bedenken nicht beeindrucken.

Glasmanufaktur Zalto: Ein durchsichtiges Geschäftsmodell

Als sie die Zalto Glas GmbH gründen, sind Karner und Hinterleitner 52 und 55 Jahre alt und somit die wahrscheinlich ältesten Start-up-Buben Österreichs. Bald gehen die Gläser in Serie. Nicht im Waldviertel, sondern in der Slowakei, 100 Kilometer von der Hauptstadt Bratislava entfernt, finden die beiden eine passende Produktionsstätte: "Wir haben uns mehrere Hütten in Europa, vor allem im Osten, angesehen, das war die beste."

Wo genau der Betrieb steht, verraten die Inhaber nicht, die Konkurrenz muss ja nicht alles wissen. Nur so viel: Zaltos Gläser werden mundgeblasen, von 25 Männern, ein extrem anstrengender Job. Bei 1200 Grad schmilzt Glas, ein Mix aus Quarzsand, Sodium, Pottasche. Mit Bleizusätzen wäre der Schmelzpunkt niedriger, doch darauf verzichten sie, damit ihr Glas in der Spülmaschine nicht mit der Zeit eintrübt.

Hat die Masse die nötige Temperatur erreicht, lässt sie sich ziehen und formen. Damit ein Glas aussieht wie ein Zalto-Glas, wird es in eine zweiteilige geschnitzte Holzform geblasen, die von Drahtschnüren zusammengehalten wird. Das Holz muss nass sein, sonst würde die Form verbrennen. Weil das Blei fehlt, muss das Glas anschließend sehr langsam auf einem Laufband im Kühlofen abkühlen, in der Regel 24 Stunden lang, damit keine Spannung entsteht und es zerspringt.

Irgendwann verliert die Hausbank die Geduld

Technik und Qualität bekommen die neuen Eigner schnell in den Griff. Allein, es fehlt an Abnehmern. Irgendwann verliert die Zalto-Hausbank die Geduld. Karner und Hinterleitner finden ein neues Institut mit mehr Vertrauen - und nach und nach beginnt das Geschäft zu laufen. Wie Handelsvertreter ziehen die beiden Gründer von Sternelokal zu Sternelokal und werben für ihre Gläser. Die ersten Kritiker schreiben über Zalto, darunter François Simon vom "Figaro". Und dann, plötzlich, ordern die ersten Restaurants in Frankreich. Die Form der Gläser - größer, ausladender, kantiger als die Konkurrenz - kommt in der Szene gut an. Als Aldo Sohm, Chef-Sommelier (und Tiroler), sie im Drei-Sterne-Tempel Le Bernardin in New York einführt, ist das der Durchbruch.

Die Österreicher, auch das hilft sich abzugrenzen, machen vieles anders als der Wettbewerb. Während andere Anbieter Dutzende Gläser im Sortiment haben, für beinahe jede Rebsorte eines, beschränken sich die Zalto-Macher auf fünf Typen: für Weißwein, Süßwein, Bordeaux, Burgunder und Champagner sowie ein Universalglas. Im Weingut von Fritz Wieninger, 48, Topwinzer für biodynamisch angebaute Weine aus Stammersdorf, stehen alle Modelle. "Die Gläser sind unheimlich präzise. Sie erlauben keine Fehler, beschönigen nichts", sagt Wieninger. "Sie bringen zu hundert Prozent alles, was ein Wein kann, zur Nase, zum Gaumen."

Zaltos Qualität spricht sich herum. 2013 liefert die Firma in 30 Länder für mehr als zwei Millionen Euro. Seither sprechen die Eigner nicht mehr über den Umsatz. Trotz des Erfolgs bleibt Zalto ein Nischenspieler. Marktführer Riedel erlöst jährlich rund 260 Millionen Euro. "Dagegen sind wir ein Mickymaus-Unternehmen", gesteht Hinterleitner.

Die fehlende Größe gereicht den beiden Unternehmern allerdings nicht selten zum Vorteil. "In New York rollt man uns den roten Teppich aus. Die kennen es ja gar nicht mehr, dass Firmen noch ein Gesicht haben", sagt Karner. Zaltos ungewöhnliche Geschichte mögen die Kunden. Und die Österreicher wissen sie zu nutzen: Bevor Hinterleitner zu Schlumberger wechselte, hat er zwölf Jahre lang für den Konsumgüterriesen Procter & Gamble gearbeitet. Er kennt alle Kniffe, mit denen man eine Marke schafft. Dazu gehört auch: Mache dich rar!

Als ein namhafter Versandhändler anfragt, ob er Zalto-Gläser in sein Programm aufnehmen dürfe, lehnen die Gründer ab. "Da gibt es alles, von der Gartenkralle bis zur handgeschöpften Butter, das passt nicht zu uns", sagt Karner. Und auch als eine Supermarktkette die Gläser ins Sortiment aufnehmen will, widerstehen Karner und Hinterleitner der Verlockung - auch wenn sie sich damit womöglich manches künftige Geschäft kaputtmachen. "In der Branche gelten wir deshalb inzwischen als arrogante Hunde", sagt Karner.

Es waren Entscheidungen wie diese, über die sich die beiden Firmenkäufer mit Kurt Zalto, der anfangs noch zum Team gehörte, überworfen haben. Heute streiten sich die Geschäftspartner von einst vor Gericht. Kurt Zaltos Frau und sein Sohn Curt entwerfen Gläser, die den "echten" Zalto-Kelchen sehr ähnlich sehen, aber deutlich billiger sind. Ein leidiges Thema, über das Hinterleitner und Karner nur ungern sprechen. Die beiden wirken eingespielt wie ein altes Ehepaar.

Glasmanufaktur Zalto: Ein durchsichtiges Geschäftsmodell

"Wir wohnen um die Ecke", erzählt Karner und frotzelt über seinen Kompagnon Hinterleitner: "Er kommt manchmal in Schlappen, wenn wir etwas besprechen müssen." Und wie ein altes Ehepaar denken sie in solchen Momenten auch darüber nach, was aus ihrem Baby Zalto einmal werden soll, wenn sie als Erzieher abtreten. Seit vier Jahren arbeitet Hinterleitners Sohn Christoph mit im Betrieb. Während die beiden Seniorchefs durch die Welt touren, kümmert er sich ums Tagesgeschäft. Er soll die Firma einmal übernehmen. "Im Safe liegen drei DIN-A4-Seiten, die Rezeptur des Glases, die Form, die Vermarktung", erzählt Karner. Bruch soll es bei Zalto nie wieder geben.

Vom Fass: Die Glashersteller Josef Karner (links) und Martin Hinterleitner (rechts) stoßen mit Biowinzer Fritz Wieninger an - mit Zalto-Gläsern

Heiß auf Holz: In einer slowakischen Glashütte werden die Zalto-Gläser mundgeblasen

Ihre Gestalt erhalten sie mithilfe geschnitzter Formen aus Eiche

Ein Glas wie kein Glas: Aus ihrer Zeit als Manager wissen Karner (links) und Hinterleitner, wie man Marken aufbaut

Feiner Winkel: Die Neigung von Boden, Wänden und Stiel zueinander folgt bei Zalto strengen Vorgaben

Ob dies einen Effekt auf den Trinkgenuss hat, ist indes unbewiesen

"Die Gläser sind unglaublich präzise, sie bringen alles, was ein Wein kann, zur Nase, zum Gaumen."