Kunst und Design in Hagen: Was im Leben zusammengehört

2022-10-08 18:58:08 By : Mr. Frank Tang

„Tankette“ heißt der martialische Wohnzimmertisch aus dem Jahr 1987. An der Wand das Gemälde „Pinatubo“ von Schumacher und im Hintergrund Stahlrohr-Stühle, Tisch und die erste Batterie betriebene Leuchte von Tobia Scarpa „Perpetua“ von 1982.

„Tankette“ heißt der martialische Wohnzimmertisch aus dem Jahr 1987. An der Wand das Gemälde „Pinatubo“ von Schumacher und im Hintergrund Stahlrohr-Stühle, Tisch und die erste Batterie betriebene Leuchte von Tobia Scarpa „Perpetua“ von 1982.

Hagen Der Tisch ist eine Provokation, das Bild dahinter ein Aufschrei. Panzerteile wirken seit dem Krieg in der Ukraine eben nicht mehr harmlos. Wo Espressotassen und Tablebooks abgelegt werden, rotiert bei dem schwarzen Couchtisch eine bewegliche Kette wie bei einem Panzer.

„Tankette“ heißt das martialische Möbel von Paolo Pallucco und Mireille Rivier aus dem Jahr 1987. Mit dem rotglühenden Gemälde „Pinatubo“ reagierte Emil Schumacher auf das Flammeninferno nach einem Vulkanausbruch.

Dieses Emotionen freisetzende Ensemble wird zum Epochenbild ergänzt durch Stahlrohr-Stühle, Tischchen und die erste Batterie betriebene Leuchte von Tobia Scarpa. „Perpetua“ von 1982 ging beim Hersteller Flos wegen zu hoher Kosten aber nie in Serie. Der Blick auf die 1980er-Jahre ist ein Kapitel in einem anregenden Jahrhundertüberblick, mit dem sich das Emil Schumacher Museum in Hagen empfiehlt.

Wegweisende Ausstellungen erwartet die Kunstfreundin in Hauptstädten, großen Museumsverbünden, an Brennpunkten der Kunst. Doch die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz etwa vernetzen ihre reichen Bestände so gut wie nie. Sie betrachten unverdrossen jede Gattung einzeln. Und sind darüber hinaus mit der Selbst-Reform mehr als beschäftigt.

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Dass diese Erwartung ein unzutreffendes Vorurteil beinhaltet, erfährt, wer sich aufmacht nach Hagen. Dort leitet ein junger neuer Direktor das Emil Schumacher Museum. Rouven Lotz folgt auf des Künstlers Sohn, den Initiator und „Gründungsdirektor“ Ulrich Schumacher, der 2021 verstorben ist.

Rouven Lotz ist bewusst, dass er mehr bieten muss als „nur“ Kunst von Emil Schumacher (1912–1999) und dessen Zeitgenossen; damit Besucher mehr als einmal ins Künstlermuseum kommen.

In der Abteilung zu den dreißiger Jahren prallen der coole Glastisch aus der Mailänder Triennale von 1936 und ein vermeintlich abstraktes Gemälde (re.) aufeinander. Es handelt sich um den originalen Bezugsstoff des Sessels davor. Daneben hängt das Unterfutter des Sitzpolsters, ein ehemaliger Zuckersack. Den kubischen Clubsessel entwarfen 1928 Giuseppe Pagano und Gino Levi Montalcini.

In der Abteilung zu den dreißiger Jahren prallen der coole Glastisch aus der Mailänder Triennale von 1936 und ein vermeintlich abstraktes Gemälde (re.) aufeinander. Es handelt sich um den originalen Bezugsstoff des Sessels davor. Daneben hängt das Unterfutter des Sitzpolsters, ein ehemaliger Zuckersack. Den kubischen Clubsessel entwarfen 1928 Giuseppe Pagano und Gino Levi Montalcini.

Mit seiner abstrakten Malerei bricht Emil Schumacher bereits vor dem Desaster des 2. Weltkriegs mit der von den Nazis bevorzugten figurativen Bildsprache. Schumacher schafft aus pastoser, mit Pigment übersatt angeriebener Farbe krustig-schrundige Bildgründe. Darauf setzt er in wilder Geste hingeworfene schwarze Linien. So wurde er zu einem der wichtigsten Vertreter des sogenannten „Informel“, der eher expressiven und nicht-geometrischen Variante der Abstraktion.

Kaum bekannt ist aber, dass Schumacher seit den 1950er-Jahren das Kultauto von Citroën, eine „Déesse“, fuhr. Von ersten Verkaufserfolgen erwarb der Maler dänisches Design. Die vorwärtsweisende Formgebung seiner Zeit hatte der gebürtige Hagener stets im Blick. Arne Jacobsens Schichtholzstuhl „Grand Prix“ von 1957 ist eines der wenigen Designstücke aus Schumachers Besitz in der Schau.

Diese Vorliebe des Malers für das avantgardistische Design ist der Anknüpfungspunkt zu der inspirierten Schau „Emil Schumacher und die Form seiner Zeit“. Sie konfrontiert den ungegenständlichen Maler und ein paar weitere Kolleginnen mit Möbeln und Leuchten. 100 Jahre Designgeschichte sind selten so militaristisch wie bei der „Tankette“, mal elegant, mal poppig, oft minimalistisch kühn.

Dafür hat sich Rouven Lotz den Design-Sammler und -Forscher Sebastian Jacobi aus Bad Ems als Gastkurator geholt. Jacobi schöpft aus dem Vollen seiner umfangreichen Privatsammlung. Er zeigt nicht restaurierte Objekte und erzählt immer wieder faszinierende Technikgeschichte.

Über dem kantigen Minimalismus von „HP01“ von Pelsmacker aus dem Jahr 1999/2000 hängt Schumachers Gemälde „Alumet I“ von 1995.

Über dem kantigen Minimalismus von „HP01“ von Pelsmacker aus dem Jahr 1999/2000 hängt Schumachers Gemälde „Alumet I“ von 1995.

Ludwig Mies van der Rohes „Barcelona“-Sessel kommt zwar vor, und auch das bekannte Teegeschirr aus Glas aus dem Bauhaus. Doch der Reiz der – übervollen – Schau liegt in wegweisenden Objekten, die der Mainstream noch nicht kennt.

Neben Erich Dieckmanns Typenküche von 1927 steht zum Beispiel der eckige Eisenofen, den Ferdinand Kramer 1926 für Lilly Reiche entworfen hatte. „Die Gestaltung war völlig neuartig und brenntechnologisch viel effizienter,“ erzählt Sebastian Jacobi beim Rundgang. Unweit davon hängten August Mackes „Drei Frauen bei der Handarbeit“ und Schumachers Grafik „Hände wärmen“.

Eine starke Abteilung ist die zu den dreißiger Jahren. Da prallen der coole Glastisch aus der Mailänder Triennale von 1936 und ein vermeintlich abstraktes Gemälde aufeinander. Doch was an der Wand hängt, ist nicht etwa ein Bild aus geometrisch-abstrakten Farbverschiebungen, sondern der originale Bezugsstoff des Sessels davor. Und auch das Unterfutter des Sitzpolsters, ein ehemaliger Zuckersack, wird gezeigt. Den kubischen Clubsessel hatten übrigens Giuseppe Pagano und Gino Levi Montalcini 1928 entworfen.

Unweit davon bleibt das Auge an flotten, tortenförmigen Sesselchen in Eiscremefarbenhängen. Sein Entwerfer ist noch unbekannt, Jacobi datiert sie auf „Italien, 1920er-Jahre“. Sie stehen in diesem Kontext, weil die Ausstellung hier einen Wendepunkt des Designs markiert. „Was in Deutschland unter den Nationalsozialisten nicht mehr geht, bleibt in Italien möglich,“ erläutert Jacobi den Zusammenhang.

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Jacobis Sammlung hat einen Italien-Schwerpunkt und dort wiederum gibt es besonders viele Hänge-, Steh- und Tischleuchten. Was bisweilen dominant wirkt, erklärt der so kundige wie eloquente Sammler mit der Möglichkeit, mit den schlanken Leuchten auf wenig Raum noch mehr Industriegeschichte ausbreiten zu können.

Und diese ist spannend. Da wäre der erste Deckenfluter „Luminator“, 1933 von Pietro Chiesa entworfen. Dass die multifunktionale Stehleuchte „Claritas“ bereits 1946 entstand, ist kaum zu glauben. Vico Magistretti & Mario Tedeschi haben statt eines Schirms nur ein bewegliches Stück Metallblech verwendet. Kühn und zukunftsweisend.

Über Lampen in Acrylglas und solche, die Stimmungen mit Farben erzeugen können, führt der Parcours zu einem Objekt von Tokujin Yoshioka. „ToFU“ aus dem Jahr 2000 ist halb Skulptur, halb magisch leuchtende Lichtquelle.

Den Schlusspunkt setzt eine Tisch-Bank aus Aluminium. Über dem kantigen Minimalismus von „HP01“ von Hans de Pelsmacker aus dem Jahr 1999/2000 hängt Schumachers Gemälde „Alumet I“ von 1995. Es berichtet von der Schönheit der Farbe Grau in all ihren Abstufungen. Vier ähnliche Arbeiten schuf der Künstler noch 1998 für den Reichstag in Berlin.

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Trotz zweier Wermutstropfen – es gibt keinen Katalog, die Lampen leuchten nicht – ist Rouven Lotz und Sebastian Jacobi eine Ausstellung gelungen, die den Vergleich nicht zu scheuen braucht. Momentan ist es das neue Museum M + in Hongkong, das vormacht, wie sinnvoll es ist, Kunst und Design nicht zu trennen, so wie es im Angelsächsischen mit dem Begriff „visual arts“ praktiziert wird.

Hierzulande kleben Museen noch an der von den Vätern der Kunstgeschichtsschreibung eingeführten Systematik. Die trennt nach Gattungen, was im Leben zusammengehört. Dass es im Museum auch anders geht, unterstreicht Hagen mit einer Ausstellung, die Augen, Herz und Verstand anspricht.

Die Ausstellung „Emil Schumacher und die Form seiner Zeit“ läuft bis 28. August 2022 am Museumsplatz 1 in 58095 Hagen. Für den Navigator: Hochstraße 73. Geöffnet ist Di. bis So. von 12 bis 18 Uhr.

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