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2022-10-13 07:38:18 By : Ms. Lucy Wang

Die Zucht von Quallen ist ein schwieriges Geschäft, Tierpfleger Daniel Strozynski kennt alle Tricks: Etwas mehr Licht oder Strömung, vielleicht ein Wasserwechsel - schon klappt es mit der Fortpflanzung.

"Die Qualle ist in ihrer Funktionsweise super von der Natur durchdacht und ästhetisch total schön": Tierpfleger Daniel Strozynski hat am Berliner Zoo eine einzigartige Zucht aufgebaut. Ein Besuch.

Eigentlich wollte er zu den Reptilien. Oder den Elefanten. Oder wenn schon nicht zu den Landtieren, dann zumindest zu den Fischen. Ein Fisch kann dich angucken, immerhin. Aber eine Qualle? Die ist halt eine Qualle und fertig. Quallen machen keine Geräusche, zeigen keine Gefühle, können dich nicht mal ansehen. So hatte Daniel Strozynski sich das zumindest gedacht, damals, als er sich beim Berliner Zoo für eine Ausbildung als Tierpfleger beworben hatte. Er landete schließlich im Berliner Aquarium und bekam die Stelle - aber nicht bei den Fischen.

Zwanzig Jahre später steht Daniel Strozynski in genau jenem Aquarium vor einem 4000-Liter-Becken und blickt versonnen hinein. Hinter dem dicken Glas mäandern durchsichtige Meeresgeschöpfe durchs Wasser, die in etwa so viel mit einem Reptil oder einem Elefanten zu tun haben wie Strozynskis Job mit dem eines Büroangestellten. Um ihn herum rauscht an diesem Wintermorgen eine Horde Flummis vorbei, die sich bei genauerem Hinsehen als eine Gruppe Vorschulkinder in bunten Schneeanzügen und grell-gelben Warnwesten entpuppt. Ziel: Das riesige Meeresschaubecken, vor dem schon eine zweite Horde Kita-Kinder wartet. Es ist Fütterungszeit; die Fische im Schaubecken kriegen Krebse und Weichtiere, die Kinder Kekse und Käsebrote. "Boah, guck ma!", ruft ein etwa fünfjähriges Mädchen, die roten Bäckchen gefüllt mit Zwischenfrühstück, das Gesicht an die Scheibe des Aquariums gedrückt. Dort rudert gerade eine Meeresschildkröte durch das Wasser. Keines der Kinder hat vor einem der acht Quallenbecken haltgemacht. Nur zwei weißhaarige alte Damen mit Hut und Steppweste stehen vor einer kreisrunden Scheibe und beobachten die winzigen Fingerhutquallen.

Vielleicht braucht, wer die Schönheit von Quallen erfassen und verstehen will, tatsächlich ein bestimmtes Alter. Eine gewisse Reife. Quallen sind keine Statustiere. Nicht so wie Tiger, Elefanten oder Giraffen. Sie sind still, sensibel und zart, mit ihren gallertartigen Körpern, die zu 99 Prozent aus Wasser bestehen, und den manchmal hochgiftigen und meterlangen Nesselfäden, mit denen sie ihre Beute jagen, zum Beispiel Kleinkrebse oder Insektenlarven. Wer die Schönheit der Tiere erkennen will, braucht Geduld. Muss sich nah heranbeugen bei den kleineren Quallen, etwa bei Linuche unguiculata, muss den stillen Tanz der größeren wie Aurelia aurita auf sich wirken lassen, die im dunkelblauen Aquarium durch ein Meer aus millimeterkleinem Plankton treiben, als schwebten sie im Weltall durch Sternenstaub.

Der Stich der Qualle 'Gonionemus vertens' ist nicht lebensbedrohlich - aber sehr schmerzhaft.   Von Tina Baier

Die meisten Menschen aber sehen in Quallen nur jenen Glibber, über den sie als Kinder in den Ferien am Nordseestrand stolperten und der sich doch so gut eignete, um die Geschwister oder gleich die Eltern damit zu bewerfen. Auch Quallenzüchter Daniel Strozynski musste sich erst an seine Schützlinge gewöhnen. Heute weiß er: "Die Qualle is ganz einfach gebaut, aber in ihrer Funktionsweise super von der Natur durchdacht und ästhetisch total schön. Welche Qualle seine liebste ist, kann er deswegen gar nicht sagen. "Eigentlich alle. Jede hat ja irgendwo ihren eigenen Reiz."

Strozynski, 42, zweifacher Familienvater und natürlich Tierliebhaber, ist ein kleiner, rundlicher Mann mit leicht angegrauten Schläfen, dessen Ehering sich in 19 Jahren tief in den linken Ringfinger eingeschnürt hat und dessen gemütlicher Bauch sich unter seiner Arbeitskleidung abzeichnet, dem dunkelblauen T-Shirt des Berliner Aquariums. Er hat kräftige Arme vom Putzen der Aquarien und eine bodenständige Art, was man an der Antwort merkt, die er auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept gibt. "Na ja, man muss sich halt die Zeit nehmen. Also viel probieren und schauen, was passt", sagt Strozysnki mit leichtem Berliner Akzent. So einfach ist sein Erfolgsrezept.

Dabei ist es so einfach natürlich nicht. Der Quallenspezialist hat eine zumindest für Europa einzigartige Zucht aufgebaut. Immer wieder bekommt Strozynski deswegen Besuch von Kollegen aus dem Ausland, die sich etwas von seinem Know-how abgucken wollen. Jede der rund 30 verschiedenen Arten, die unter seiner Hand gedeihen, braucht andere Parameter für ein optimales Wachstum, dazu strenge hygienische Bedingungen und ein ausgeklügeltes technisches Verfahren, das in jedem Becken eine Strömung generiert. Damit die Quallen nicht auf den Boden absinken, was für sie lebensgefährlich sein kann. Am Boden lauern Bakterien. Zudem würden die Quallen mit ihren sensiblen Leibern schnell beschädigt.

Deswegen treiben sie unaufhörlich mit der künstlichen Strömung mit, auch um Beute zu fangen. Die Kompass-Qualle beispielsweise fängt mit ihren weißen, fadenartigen Tentakeln gerne kleine Salzwasserkrebse, die dann als winzige orangefarbene Punkte im Magen der farblosen Qualle enden. "Oder die hier", sagt Strozynski und bewegt sich zum nächsten Becken, in dem 400 Ohrenquallen in einer Art sphärischem Ballett in Blau auf und ab schweben. "Wenn die sterben, nehmen wir die raus, zerschnippeln die und verfüttern die an andere Quallen. Das haben wir irgendwann mal ausprobiert, das funktioniert sehr gut."

Wenn Quallen jagen, verlieren sie jene Unschuld, die viele in ihnen sehen wollen: Auf den Nesselfäden sitzen kleine Nesselkapseln, hocheffiziente Mini-Durchschlagsgeschosse, die sich bei mechanischer Reizung blitzschnell entladen und sich sogar durch gepanzerte Kleinsttiere durchbohren; das Opfer hat keine Chance. Innerhalb von wenigen Millisekunden hat die Qualle ihr Gift injiziert.

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